Ein Interview mit Bernadette
Es geht um die ursprüngliche Schöpferkraft
Bernadette ́s Werkstatt im WUK (Werkstätten- und Kulturzentrum) duftet seine eigene ledrig-holzige Nuance. Der Raum mit den hohen Fenstern ist Dreh- und Angelpunkt des kreativen Schaffens ihrer Craft Folks, wie sie all jene bezeichnet mit denen sie (nicht nur) den Raum und handwerkende Leidenschaft teilt. Hier geht es also in medias res calceus (in mitten der Schuhsache lat.):
I. Der Schuh und ich
S: Der Schuh, wie passt er in deine Biographie?
„Die Schuhe sind ein Schiff. Das heißt sie sind ein „Transportmittel“, um als individuelle Seele dorthin zu kommen, was meinen Gaben entspricht. Ich hätte einen ganz anderen beruflichen Weg als Shoe Designerin wählen können, und trotzdem wären Menschen, ihre Heilung, Pflanzen und vor allem das Kreative, als drei Pfeiler immer da geblieben, als Aspekte meiner selbst, als das was mich immer interessiert hat.
Der Schuh ist etwas ganz Besonderes, ein Kulturträger. Der Schuh war immer ein wichtiges Bekleidungsstück. Mit einem Blick in die Prähistorie wird die Bedeutung von „Schuhwerk“ ganz deutlich: Wenn deine Füße dich nicht getragen haben, warst du mehr oder weniger dem Tod ausgeliefert. Die Sippe hat dich vielleicht eine Zeitlang mitgeschleppt. Für Nomaden war ein unversehrter Fuß also sehr wichtig. Heutzutage reden wir andererseits vom ökologischen Fußabdruck. Die Füße und ihre Bekleidung sind irgendwie ständig im Spiel, weil sie uns tragen, uns auf neue Wege bringen.”
II. Der Schuh und seine Botschaft
S: Welche Botschaften bergen Schuhe in sich?
“Schuhe – Mode ganz allgemein – sind ein Kommunikator. Mit Schuhen macht man Statements, durchaus auch politischer Natur. Bei Clarks war es die sechziger Bewegung, als es plötzlich Miniröcke gegeben hat und die Desert Boots. Oder die Wallabees, die die Reggae Community für sich entdeckt hat. Der Waldviertler Schuh wiederum ist der Ausdruck einer bewussten Lebenskultur.
Schuhe haben immer wieder einen Freiheitsgedanken transportiert.
Ich mache mir diese Dinge zu Nutzen, nicht in Form eines ikonischen Schuhs, also eines Bedeutungsträgers, sondern in Form von Economical Selfempowerment. Sozusagen: Die Wirtschaftskrise kann kommen, wir machen uns die Schuhe selber. Es ist mir letztendlich ganz recht, dass es der Schuh geworden ist, weil er so viel transportiert, auch wenn ich den Schuh nie bewusst ausgesucht habe.”
III. Meine Reise
S: Wie hat die Reise begonnen? Wo haben deine Füße dich hingetragen?
„Mit einem Koffer und weißen T-Bar Pumps bin ich, gleich nach der Matura an der Kunstgewerbeschule, nach Graz ausgerissen. Das waren ganz ungewöhnliche Schuhe, im Stil der 20er Jahre. Worin sich das Thema von Freiheit und der Bruch mit verfahrenen Traditionen einer Gesellschaft widerspiegelt. Sie waren aus cremeweißen Lackleder und ich wollte sie unbedingt haben.
Als Oberteil hab ich mir aus einem alten Vorhangstoff ein Wickeltop gemacht. Dann bin ich in an einem Sommertag in einen schönen alten Pemperlzug eingestiegen und über das Selztal nach Graz ausgewandert. Ich habe meinen Eltern einen Abschiedsbrief geschrieben und bin 9 Jahre, bis auf Besuche, nicht mehr zurückgekommen. Es war mein künstlerisches Ego, das damals abgehauen ist. Ich bin ja im Mostviertel geboren und ebenda auf dem Land groß geworden. Die Seele, die sitzt und schaut hat in dem bäuerlichen Umfeld keinen Platz gehabt, das hat Konflikte gegeben. Dieser Frederick, der Farben sammelt, damit man im Winter etwas hat, um Geschichten zu erzählen, der war sehr negativ besetzt.“
„Durch meinen ersten Job in London und Southwest Sommerset bin ich nach Glastonbury gekommen. Ich bin mit dem spirituellen Mekka in England in Verbindung gekommen. Also man kann sozusagen machen was man will, man wird sowieso dahin gespült wo wir sein sollen.“
IV. Shoe Be Do – das Unterrichten
S: Seit etwa 7 Jahren leitest du Workshops in Sachen Schuheigenbau. Den Shoe-be-do zum Beispiel, ein Wochenendkurs, bei dem man einen einfachen recht ursprünglichen Schuh, wie den Mokassin, selber macht. Welche Erfahrungen hast du mit deinen Workshop TeilnehmerInnen gesammelt? Wie wirkt das Ausüben von Handwerkskunst auf Menschen?
„Am Schönsten ist zu beobachten, dass es am Anfang eine gewisse Scheu gibt, untereinander, dem Material gegenüber und was da so auf einen zukommen mag. Ganz am Schluss sind die Leute dann müde und erschöpft, aber glücklich. Unsere Arbeitsschritte sind sehr einfach aber gerade in dieser Einfachheit, in dieser Freiheit, da kann man sich in dem kurzen Zeitraum sicher bewegen. Man erlebt sehr viele Stationen, Höhen und Tiefen, von motivierender euphorischer Energie bis zum Mittagspausen-Durchhänger, wo man dann über dem Stanzen der Löcher einschlafen könnte, bis hin zum müden aber enthusiastischen Schlussmoment, wenn man den Schuh dann anzieht und ja: er passt!
Es ist ein in sich geschlossener Kreis, bei dem man einen ganzen Prozess durchwandert, mit Aha-Momenten. Diese Aha-Erlebnisse sind im Leben eines Menschen etwas Besonderes.
Der Schöpferprozess braucht dabei viel Zeit. Dieser ganze Kometenschweif von: Wie soll das ausschauen? Welche Farbe, welches Material nehme ich? Was lege ich da von mir rein? Welche Details und Verzierungen oder charakterliche Gestaltungselemente? Man deckt dabei auch ein Bedürfnis ab: Das Bedürfnis, mit sich selber in Verbindung zu kommen.
Dieser Schuh ist dann etwas ganz anderes als ein iconic Schuh, dabei geht es um meine eigene Ikone, um die Frage, wie ich aussehen will, mein persönliches mission statement.”
V. Shoe Folk – Forschung
S:Du hast dich auf den Weg gemacht archaisches bzw. ursprüngliches Schuhhandwerk zu erforschen und zwar direkt am Pool, bei jenen, die noch Wissen über jene Fertigkeiten haben. Welches Potential siehst du in deiner Aufgabe als Erkunderin alter Traditionen?
„Vor kurzem war ich in Wales, bei dem Holzschuhmacher Trefor Owen. 2×2 Wochen. Vom Wetter war es in der ersten Zeit regnerisch trüb. Ich bin zwischen dem Haus am Meer, wo Trefor wohnt, und der kleinen – sehr kalten – Werkstatt gependelt. Ziel war es einen Holzschuh zu fertigen. Ich habe ihn auch sehr viel über seinen Werdegang befragt. Es war ein Zuhören, Aufmerksamkeit schenken, jemandem, der ganz viel Wissen gesammelt hat und der das verkörpert.
Das war bei Laila Spik, der Sami im schwedischen Lappland, sehr ähnlich. Erst in der 2. Hälfte meiner Zeit bei Trefor, hat sich ein räumliches Verständnis ergeben. Ich bin ausgeströmt und habe das Land kennengelernt und da hat alles erst mehr Sinn gemacht. Es geht um das Erschließen, das lebendige Erfahren von Wissen.
Aus diesem Grund gibt es bei mir Kurse. Der Körper spielt eine bedeutende Rolle, weil er sich dorthin bewegt, der war schon einmal dort, hat mit der Person geredet. Das ist greifbar und diese Energie kann man dann sehr gut weitergeben. Wir können beobachten, dass in unserer reizüberfluteten Zeit und Stress, für viele der Wunsch entsteht dem Körper zu entfliehen, … und gleichzeitig ist der Körper ein Lerntool, ein Werkzeug um durch das Erfahren und Spüren zu begreifen, deshalb fahre ich dorthin. Ich bin dann bei den Menschen vor Ort und fühle mit und erlebe mit, was sie mir zu erzählen haben.
Das sind beide Male wirkliche Älteste gewesen, die sehr viel – auch an Tiefen – durch ihren ungewöhnlichen Lebensweg erlebt haben. Mir scheint, es gibt keinen, der so etwas zu erzählen hat, der eine gerade, gemähte Wiesen im Leben gehabt hat. Wie unbeugsame Gallier, die die Festungen verteidigen und dabei durchaus auch drauf zahlen. Die, die das alte Wissen bewahrt haben, haben dafür gekämpft, es verteidigt, meist bei vollstem Körpereinsatz.
Ganz Schweden war gegen die Samen und ganz England hat(te?) ein Problem mit den Walisern. Die Sprachen durften in den Schulen nicht gesprochen werden. Landenteignung ein Europa, auch wurden sie in dem was man als Bürger darf und nicht darf beschnitten. Da gibt es Parallelen, die komischerweise immer mit diesem Reichtum an Handwerk einhergehen.
Vierzig Jahre lang verwendet Trefor bereits ein spezielle ein Meter lange Schneidmesser, den Stockknives, um die Holzsohlen auf Basis einer alten Technik zuzurichten, damit die Tradition des Holzschuhtanzens mit Holzschuhen beliefert wird. Die einseitige Belastung seines ganzen Körpers und die daraus resultierende körperliche Veränderung, zeigt seine Ideologie und trägt das Wissen von einer einzigartigen Kultur. Ein Bewusstsein dafür bringe ich zurück und ich versuche es aufzubereiten, sodass jemand der weit entfernt ist davon, seinen Zugang findet.
VI. ALTES WISSEN UND GESELLSCHAFTLICHE BEDEUTUNG
S: In welcher Form bereitest du das erfahren Wissen auf und welche gesellschaftliche Bedeutung siehst du in diesem Tun?
“Workshops helfen da sehr gut. Das Erleben mit dem Körper macht be-greifbar, zum Beispiel wenn man eine Sattlernaht übt, wie Trefor sie bei seinen Holzschuhen, die aus diesem speziellen vegetabilen Leder sind, durchführt. Und Storytelling vermittelt Erfahrenes, etwa wenn ich von Laila ́s Needlehouse erzähle und wie sie es verwendet hat, um ihre Heilarbeit zu machen. Das Needlehouse ist ein aus Rentierknochen, Geweih und Leder gefertigtes Täschen für den Gürtel, wie viele Alltagsgegenstände dieser Zeit ist es reichhaltig verziert. Die Gegenstände des Alltags der Samen und anderer nativer Völker werden oftmals mit komplexen Symboliken und mit heiligen Botschaften dekoriert. Meistens sind jene Kulturen skeptisch betrachtet worden sind, Nomaden, die dem klassischen Wirtschaftswachstum nicht förderlich sind. Leute die anders sind haben immer schon Angst gemacht und sie haben oft ihr Leben für ihre kulturelle Weisheit eingesetzt. Ich glaube es kommt etwas in Fluss, wenn man die Urgeschichten berücksichtigt, weil sie für uns Vielfalt und unsere menschlichen Wurzeln darstellen. Der Zugang dazu kann in unserer Gesellschaft eine gewisse Stabilität wieder herstellen, eine Stabilität, die aus den Fugen geraten ist. Es ist ein Heilaspekt jemandem Aufmerksamkeit zu schenken und sein Werk zu würdigen. In Wahrheit ist mein Tun eine Vermittlertätigkeit. Bei mir geht es um die ursprüngliche Schöpferkraft. Ich sehe sie gelebt und diese Kreativität gehört noch viel mehr gefördert.”